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Xã hộiĐồng tính luyến ái trong xã hội hiện đại
1.1.1990
Micha Schulze
„Man nennt mich Aprikosenblüte“
 
Truongs Reich misst nicht einmal acht Quadratmeter. Fast die Hälfte seines Zimmers nimmt das Bett ein, seinen ganzen Stolz – einen Fernseher mit VCD-Player – hat er so in einer Ecke drapiert, dass ihn auch ja niemand übersehen kann. An der Wand hängt ein Poster mit Leonardo DiCaprio. „Stimmt es, dass der auch zu uns gehört?“, fragt er.

Truong ist 30, von Beruf Concierge in einem internationalen Hotel in Ho-Chi-Minh-Stadt und lebt im Haus seiner Eltern und Großeltern. Der halbnackte US-Schauspieler in seinem Zimmer ist der einzige, dezente Hinweis auf seine Homosexualität. Seine Mutter hofft nach wie vor auf eine baldige Hochzeit, wobei ihre vorsichtigen Fragen nach einer Freundin immer häufiger werden. In Truongs Alter gibt es nur sehr wenige unverheiratete Männer in Vietnam, auch seine sieben jüngeren Schwestern sind längst unter der Haube. „Kommt Zeit, kommt Rat“, nimmt er’s gelassen.

Wenn er sein Schwulsein ausleben will, was etwa einmal in der Woche der Fall ist, schlüpft Truong in seine (echte!) Calvin-Klein-Unterhose, gibt Mutti einen Kuss und macht sich mit dem Moped auf den Weg in eine der zahlreichen einschlägigen Saunen Ho-Chi-Minh-Stadts. Alternativ trifft er sich am Nachmittag mit schwulen Freunden in seinem Lieblingscafé 343, um dort unter dem Springbrunnen zu klönen und anderen Männern hinterher zu gucken. Am Abend kann man ihn in der Sam-Son-Disco tanzen sehen – dienstags, freitags und sonntags ist auch dieser Laden zu fast hundert Prozent schwul. An Treffpunkten mangelt es nicht in der hektischen Sechs-Millionen-Metropole im Süden Vietnams.

Nur mit dem Sex ist es nicht so einfach. Nach Hause in sein kleines, hellhöriges Zimmer kann Truong „natürlich“ keinen Lover mitbringen, so muss er mal auf die dunkle Ecke eines Dampfraums ausweichen, mal heimlich auf die Toilette der Disco, mal auf ein dreckiges Stundenhotel. Was für deutsche Verhältnisse ziemlich verklemmt klingt, ist für Truong selbstbewusster Alltag: „Natürlich bin ich schwul und liebe Männer“, sagt er – und kann sich doch ein Leben in einer Homo-Ehe nicht vorstellen. „Meine Familie ist mir wichtiger als ein fester Freund. Wer soll sich denn um meine Eltern und Großeltern kümmern?“

Truong ist ein typischer Vertreter der neuen „Generation Gay“, die Tradition und schwules Leben in Einklang bringen wollen. „Die meisten schwulen Vietnamesen leben im Haus ihrer Eltern und heiraten irgendwann“, bestätigt Chung, in dessen Stimme eine gewaltige Portion Stolz mitschwingt. Denn Chung hat einen anderen Weg eingeschlagen – bzw. einschlagen können. Der 28-Jährige fährt nicht nur eines der teureren Mopeds und hat sein Ohr fast ständig am Mobiltelefon, er lebt zusammen mit seinem Freund im eigenen Haus, ist stets modisch gekleidet und würde auch in der deutschen Szene nicht auffallen. „Wenn man Geld hat, kann man als Schwuler in Saigon ungestört und komfortabel leben“, grinst Chung. Er sagt bewusst Saigon und nicht Ho-Chi-Minh-Stadt, wie die Stadt nach dem Abzug der AmerikanerInnen und der kommunistischen Wiedervereinigung genannt wurde. Chung ist kein Freund der „alten Bauern des Vietcong“, er setzt ganz auf die Doi Moi, die vietnamesische Variante der Perestroika, auf die marktwirtschaftliche Öffnung eines der ärmsten Länder der Welt, auf den wirtschaftlichen Aufschwung.

Vom Sozialismus ist wenig zu spüren in Ho-Chi-Minh-Stadt, selbst den Namenspatron und Staatsgründer „Onkel Ho“ sieht man fast nur noch auf den labbrigen Geldscheinen. Die Marktwirtschaft hat das Recht des Stärkeren in allen Lebensbereichen durchgesetzt, die Schere zwischen Arm und Reich klafft dabei immer weiter auseinander. Je mehr Luxus-Restaurants und Edel-Boutiquen im ersten Distrikt eröffnen, umso mehr BettlerInnen und Krüppel hocken davor. Chung, der in diesen Läden ein- und ausgeht, sieht sie schon gar nicht mehr. Er arbeitet als Touristenführer für das schwule Reiseunternehmen Utopia-Tours und begleitet Amerikaner, Australier und gelegentlich Europäer durch das Land. Chung zeigt ihnen Kultur, Strand und Sehenswürdigkeiten und natürlich auch die große Szene Saigons. Seine Kunden, meist über 40 und Single, schwören auf ihn. Chung ist einer der besten Verkäufer seines Landes, er schönt und übertreibt selbst dort, wo es nicht nötig ist. „Fast hundert Prozent aller Künstler, Filmstars und Sänger bei uns sind schwul“, sagt er. Chung ist stolz auf Vietnam und seinen Job, der Westen lockt ihn nicht, denn in seinem Land hat er es zu etwas gebracht. „Man nennt mich Aprikosenblüte“, verrät er seinen Tuntennamen – unter Vietnams Schwulen ist es üblich, sich mit chinesischen Frauennamen anzureden.

„Man wird in absehbarer Zeit in Ho-Chi-Minh-Stadt keine schwulen Viertel, keine schwulen Hotelanlagen oder schwule Go-go-Bars sehen“, dämpft der Vietnam-Experte Douglas Thompson allzu große Erwartungen mancher Touristen. Der Amerikaner Thompson, der 1998 in englischer Sprache das Buch „The Men of Viet Nam“ veröffentlicht hat, arbeitet bei Utopia Tours in Bangkok und ist sozusagen Chungs Chef. Schwule Vietnam-Besucher warnt er vor Missverständnissen: Eine Szene im westlichen Sinne gebe es in dem südostasiatischen Land nicht, auch keinen schwulen Lifestyle oder gar eine Homobewegung, sehr wohl aber eine Jahrhunderte alte Kultur, in der gleichgeschlechtlicher Körperkontakt seinen festen Platz hat. Tatsächlich sieht man in den Straßen von Saigon häufig Männer Hand in Hand gehen oder sich umarmen, selbst Küsse sind normal. Auch schwuler Sex ist seit Konfuzius überliefert und wird kulturell toleriert – ohne dass sich alle Beteiligten als schwul definieren.

Über jene „MSM“ (Men who have sex with Men) forscht der Amerikaner Donn Colby in Ho-Chi-Minh-Stadt. Finanziert vom US-Gesundheitsministerium, soll er in einem einjährigen Projekt die HIV-Infektionsrate unter homo- und bisexuellen Männern untersuchen. Bis zu 100.000 MSM gebe es in Saigon, schätzt er. Erste Umfragen ergaben, dass nur 40 Prozent beim Analverkehr ein Kondom benutzen.

Donn Colby leistet in jeder Hinsicht Pionierarbeit. Zwar wirbt Vietnams Gesundheitsministerium mit großen Kondom-Plakaten im Straßenbild („Das würde es in den USA nicht geben!“), doch ist wasserlösliches Gleitgel nirgendwo erhältlich. Auch über andere HIV-Übertragungswege ist wenig bekannt. „Schwule sind in Ho-Chi-Minh-Stadt einem hohen Aids-Risiko ausgesetzt“, seufzt Colby, „dabei wären sie durch Streetworker so einfach zu erreichen“.

Erste Ansätze gibt es bereits: Thanh mit seinen blonden Strähnen und tuntigen Bewegungen sieht man schon von weitem an, dass er „zur Familie“ gehört. Er steht am Dienstagabend am Eingang der Sam-Son-Disco in der Le-Loi-Straße und versucht, den Gästen Kondome in die Hand zu drücken und mit ihnen über Safer Sex ins Gespräch zu kommen. Ein schwieriges Unterfangen, wie sich herausstellt: Die meisten wenden sich schüchtern ab, weigern sich das Kondom anzunehmen, grinsen verunsichert – oder machen gleich einen großen Bogen um ihn. Thanh ist als Streetworker schon hinreichend bekannt. „Über Sex wird bei uns nicht gesprochen, das ist ein absolutes Tabu“, erklärt er seine schwierige Situation. Die Kondome für die Verteilaktion hat übrigens Douglas Thompson gesponsert – aus den Erlösen seines Buches, das auch ein Präventionskapitel in vietnamesischer Sprache enthält.

Chung, der Touristen-Führer, hat keine Probleme, über Sex zu reden, im Gegenteil: Er ist sogar stets neugierig, die persönlichen Vorlieben seiner Kunden zu erfahren und hält auch mit seiner eigenen Praxis nicht lange hinter dem Berg: „Bei meinem Freund und mir ist es so, dass erst ich eine Woche die Frau bin und er der Mann, in der nächsten Woche bin dann ich der Mann und er die Frau. Schließlich geht es wieder von vorne los.“ Für die vietnamesischen Ladyboys und Tunten, die als Barkeeper und Kellner häufig in jungen Cafés anzutreffen sind, hat er wenig Verständnis. „Ich möchte mich nicht auf eine Rolle festlegen.“

Das Land reagiert gespalten auf die zunehmend sichtbare „Generation Gay“. Zwar stand Homosexualität in Vietnam zu keinem Zeitpunkt unter Strafe, doch die Kader schwanken noch immer, ob sie die „Mode aus dem Westen“ bekämpfen, als amüsante Kuriosität links liegen lassen oder als Folge der marktwirtschaftlichen Öffnung ertragen sollen. So wechseln sich Pressekampagnen gegen homosexuelle Prostitution ab mit um Toleranz werbenden Buchveröffentlichungen.

„Positive Bilder homosexuellen Lebens fehlen völlig“, schrieb der Schriftsteller Michael Sollorz nach einem Saigon-Besuch vor knapp zwei Jahren spürbar bestürzt in dieser Zeitung, es herrsche ein „Klima der Unsichtbarkeit und des Schweigens“, in Vietnam scheine es „nahezu unmöglich, ein schwules Selbstwertgefühl zu entwickeln“. Sollorz irrt. Er hat die Lebensfreude nicht gespürt von Truong, Chung, Thanh und den vielen anderen, die auch ohne Regenbogenfahne, „Spartacus“ und Darkroom-Bar ihre Identität gefunden haben. In Vietnams erster „Generation Gay“ ist man sich der eigenen Homosexualität bewusst, zelebriert sie aber nur einmal in der Woche oder noch seltener. Dann aber exzessiv. Über Mund-zu-Mund-Propaganda erfährt man in Ho-Chi-Minh-Stadt vom Sonntag-Morgen-Treff im Phuong Cat Café oder von der Straße Huynh Van Banh, in der Hunderte Schwule ab 22 Uhr auf kleinen Hockern bis in den Morgengrauen zusammensitzen und Bier trinken. Sie wissen, wie weit sie es gebracht haben, dass es nur besser werden kann, und gehen ihren Weg mit vietnamesischer Geduld. „Es gibt immer Nischen“, sagt der 25-jährige Duc, der wie die meisten mit Eltern und Geschwistern zusammen wohnt. Für die homosexuellen Seiten seines Lebens hat er sich zusammen mit acht Freunden eine kleine Wohnung angemietet... Natürlich wollen auch einige raus aus dem Land, halten Armut und Familienperspektive nicht länger aus. So wie Nhat, der sich im zwielichtigen Amüsierschuppen Apocalypse Now an schwule Touristen ranschmeißt, die irgendwie nach Holland, Deutschland oder Skandinavien ausschauen und an einem Abend locker den Monatslohn eines vietnamesischen Arbeiters verjubeln. Nhat macht dies nicht, weil er auf blonde Hünen steht, sondern weil er gehört hat, dass Männer in diesen Ländern andere Männer „heiraten“ können, auch ihn als Ausländer, und er dann eine Aufenthaltsgenehmigung bekäme. Erfolg hat er bislang nicht gehabt. Vielleicht liegt’s daran, dass er mit der Tür allzu schnell ins Haus fällt oder das mit der Homo-Ehe doch noch nicht ganz glauben kann.

Zum Glück ist Ho-Chi-Minh-Stadt noch weit von einem zweiten Bangkok entfernt, wo die schwule Szene vom Tourismus und der Sexindustrie dominiert wird. In Vietnam, insbesondere im liberalen Süden, hat die „Generation Gay“ die Chance auf eine selbst bestimmte Entwicklung. Auch wenn man schon heute eklige Szenen mit Ausländern erleben kann, wie unter der Dusche des Worker’s Club, wo sich reiche Weiße ungeniert von Zwölfjährigen befriedigen lassen. Als Gegenleistung gibt’s hinterher einen Dollar.

„Vielleicht mache ich in ein paar Jahren eine schwule Sauna auf“, spricht Chung über seine Zukunftspläne. Solange es geht, möchte er natürlich weiterhin als Guide arbeiten, mit Fremden durchs Land reisen, in gute Restaurants und Hotels eingeladen werden, am Wohlstand teilhaben, jemand sein im großen Saigon. Privat werde er vielleicht einmal seinen Freund heiraten, träumt er. „Natürlich nicht offiziell, aber mit einer großen Zeremonie und vielen geladenen Gästen.“

Auch Truong, der Concierge mit dem Leonardo-DiCaprio-Poster, träumt von der Eröffnung eines schwulen Cafés – um kurz darauf selbst über seine Idee zu lachen. Er ist realistisch genug, dass er das seiner Mutter nie würde erklären können. Doch er weiß, dass er noch viel zu entdecken hat. An seinem Arbeitsplatz im Hotel hat er Zugang zum Internet, wo er bei jeder Gelegenheit auch auf schwulen Seiten surft. Außerdem ist ihm aufgefallen, dass sich unter den FlugbegleiterInnen einer australischen Airline, die sich regelmäßig in seinem Hotel einquartieren, auffallend viele Stewards befinden, die schon mal einen Vietnamesen mit aufs Zimmer nehmen. „Natürlich nur bis 23 Uhr und nur, wenn die Gäste ihren Ausweis an der Rezeption hinterlegen.“ Truong, der Concierge, kennt die Regeln genau.

Neulich hat er im Internet etwas über den Mardi Gras in Sydney gelesen. „Hunderttausende Schwule tanzen auf der Straße – ist das wirklich wahr?“ Truong kann sich das kaum vorstellen, ist verängstigt und fasziniert zugleich. Seit Wochen nimmt er sich vor, einen der australischen Stewards mal nach dem Mardi Gras zu fragen. Morgen, gleich Morgen, wird er allen Mut zusammen nehmen und es tun.

Micha Schulze (34) ist Herausgeber und Reiseredakteur der Monatszeitung QUEER. Er lebt zusammen mit seinem Freund in Köln.
Nguồn: QUEER, die Monatszeitung für Schwule, Lesben, Bis und Transgend, Februar 2002.