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Tư tưởngPhương Đông và Phương Tây
1.1.1990
Jürgen Habermas
"Es ist, als höre man seine eigene Stimme nicht mehr"
Jürgen Habermas im Gespräch mit Pekinger Künstlern und Intellektuellen über Menschenrechte und Marxismus sowie Chinas Weg in die globalisierte Moderne.
 
Jiang Wen: Warum sind Sie nach China gekommen, Herr Habermas?

Jürgen Habermas: Zuvor war ich in Japan und Südkorea. Dort hatte ich immer das Gefühl, auch schon ein bisschen in China zu sein. Jeder europäische Intellektuelle will einmal im Leben gerne hierher kommen. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es für uns im Westen nur einen großen Anderen: Das ist das Reich der Mitte. Es war ein historisches Zentrum und wird wieder Weltbedeutung erlangen.

Xu Xing: Dann wird Sie China enttäuschen. China ist heute viel radikaler verwestlicht als etwa Japan oder Südkorea. Dort hat man zwar die moderne Wirtschaftsweise des Westens übernommen, aber die eigene Kultur bewahrt. China dagegen hat auch den Kommunismus und die Diktatur des Proletariats vom Westen übernommen. Taoismus, Konfuzianismus und Buddhismus wurden verworfen. Die chinesische Philosophie ist eine ausgestorbene Wissenschaft.

Jürgen Habermas: Das stellt sich in der Menschenrechtsdiskussion ganz anders dar: Gemeinsam mit Ländern wie Malaysia und Singapur streitet China für die so genannten asiatischen Werte. Man will mehr die Pflichten als die Rechte der Menschen betonen, während Japan und Südkorea weitgehend den westlichen Menschenrechtsvorstellungen folgen. China und der Westen haben hier einen großen Diskussionsbedarf.

Shang Dewen: Die chinesische Führung vertritt keine echten asiatischen Werte. Die Kommunisten predigen nur deshalb Konfuzius, weil sie die Idee der Menschenrechte damit für sich instrumentalisieren können. Mehr Rechte für den Einzelnen widersprechen dem Herrschaftsanspruch der Partei, mehr Pflichten stützen ihn. Tatsächlich aber ist China ein Land, das wie die meisten östlichen Gesellschaften den individuellen Wert der einzelnen Person nicht so stark wie der Westen betont. Unsere Menschenrechtsvorstellungen werden deshalb noch lange Zeit voneinander abweichen.

Jürgen Habermas: Aber nehmen wir einmal mit Xu Xing an, dass nach 1949 unter Mao tatsächlich eine Verwestlichung eingesetzt hat. Lässt sich dann nicht auf dem Weg der Selbstkritik des offiziellen Parteimarxismus ein neues Menschenrechtsdenken legitimieren? Im westlichen Marxismus sind die Menschenrechte doch eingeklagt worden, als man deren ideologischen Missbrauch kritisierte.

Zhou Guoping: Anfang der achtziger Jahre gab es bei uns diese Debatte über den Humanismus bei Marx. Aber nach Intervention der Regierung konnte sie nicht fortgesetzt werden.

Cui Jian: Die Chinesen haben Angst vor der Menschenrechtsdebatte, weil sie glauben, dass sie automatisch zur Verwestlichung führt. Uns fehlt das Selbstbewusstsein, die Menschenrechte zu unserer ureigenen Sache zu erklären. Vielleicht müssen wir erst ein Recht auf Selbstbewusstsein einfordern.

Jürgen Habermas: Auf den ersten Blick wirkt China heute sehr selbstbewusst. Die vielen jungen Leute, die mir in den Universitäten begegnen, und die ich auf den Straßen Pekings sehe, scheinen nur den Wunsch zu haben, in derselben Richtung wie in den letzten Jahren weiterzugehen.

Qian Ning: Gerade junge Menschen und Studenten profitieren heute von freier Marktwirtschaft und Wettbewerb, wie sie China seit zehn Jahren einführt. Doch der Reformprozess kennt auch viele Verlierer. Alte und Arbeitslose haben keine Zukunft. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer. Kurz: Die Grausamkeit der Modernisierung tritt heute immer offener hervor. Ich bin nicht Marxist genug, um das als unvermeidlichen historischen Prozess zu akzeptieren.

Jürgen Habermas: Was in Asien in 30 Jahren passiert ist, hat in Europa 250 Jahre gedauert. Das erste Stadium der Modernisierung, das Marx die ursprüngliche Akkumulation nannte, war besonders grausam. Die große Wanderung vom Land zur Stadt, die Bildung eines städtischen Proletariats - hinter solchen abstrakten Begriffen verbargen sich qualvolle und zerstörte Lebensgeschichten, wie viele Menschen sie heute in China erleben. Natürlich kann der Blick auf die Geschichte neues Unheil nicht rechtfertigen. Aber ist denn die beschleunigte Modernisierung in China in liberalen demokratischen Bahnen überhaupt vorstellbar, ohne dass gleich russische Verhältnisse entstehen?

Shang: Unglück führt zu Glück. Bis es so weit ist, sind Schmerzen in der Gesellschaft unvermeidlich. Das liegt am derzeit in China herrschenden Widerspruch zwischen einer prosperierenden Marktwirtschaft und einem alten politischen System. Die weit verbreitete Korruption, in der viele Chinesen heute das größte Problem ihres Landes erkennen, ist eine direkte Folge davon, dass der alte politische Mechanismus die neuen wirtschaftlichen Strukturen nicht mehr effektiv kontrollieren kann. Ein pluralistischer Markt fordert auch einen pluralistischen Überbau. Die Modernisierung wird also auch in China die Demokratisierung zufolge haben. Die Entwicklungen in Taiwan und Südkorea zeigen das. Aber in welchen Bahnen dieser Prozess verläuft, kann heute niemand sagen. Aus meiner Sicht muss der demokratische Umbau von der Partei selbst angeregt werden, damit größere Katastrophen vermieden werden.

Xu: Aber was ist das Ziel dieser Modernisierung? Wer liefert uns einen Maßstab dafür? Heute benutzen die meisten von uns traditionelle chinesische Möbel und tragen westliche Hosen. Sind wir nun modern oder unmodern?

Jürgen Habermas: Die Modernisierung hat auch eine mentale, intellektuelle Seite. Es ist doch eine universelle Erfahrung, dass wir heute fähig sind, gegenüber der eigenen Tradition Abstand zu gewinnen und aus der Perspektive anderer Traditionen auf die eigene zu schauen. In dem Augenblick, wo man dabei die Möglichkeit in Erwägung zieht, dass die eigene Tradition auch vollkommen falsche Weichen stellt, erreicht man eine Stufe der Problematisierung, die vormoderne Kulturen nicht haben. Das ist ein mentaler Zug von moderner Kultur, der keine europäische Erfindung ist und auch in China heute eine Rolle spielt.

Cui: 250 Jahre westlicher Modernisierung haben nicht nur industrielle, sondern auch künstlerische Leistungen hervorgebracht. In Asien, zumal in den autoritär regierten Ländern, glaubt man nun die wirtschaftliche Modernisierung in einer viel kürzeren Zeit realisieren zu müssen. Dabei aber stehen besonders die Künstler unter einem großen Druck, weil es ihnen nun in der kurzen Zeit gelingen soll, diesen bewegten Zustand mit ihren Werken zu interpretieren - und das alles unter einer autoritären Regierung. Viele Künstler versagen vor dieser Aufgabe. Kann es dann aber verwundern, dass sich eine aufgeklärte Haltung der Bevölkerung - eben die mentale Seite der Modernisierung - nicht von selbst einstellt?

Jürgen Habermas: Es gibt Ungleichzeitigkeiten zwischen gesellschaftlicher und kultureller Modernisierung. Jetzt bricht über Asien die gesellschaftliche Modernisierung ein: Markt, Mobilität, Kleinfamilie - das alles ist ein Paket. Die intellektuellen Folgen, die Verbreitung eines reflexiven Bewusstseins kommen etwas später. In dieser Hinsicht darf man für China vielleicht doch optimistisch sein.

Xu: Ich bin ein großer Pessimist. Mir scheint Ihre Definition von Modernisierung zu vage. Zudem gibt es eigentlich nur ein westliches Modell für Modernisierung. Ich will deshalb nicht nationalistisch oder patriotisch sein. Aber nach meinem Gefühl werden sich die Länder durch die Globalisierung immer ähnlicher. Selbst Peking verliert seinen einzigartigen Charakter. Die Straße des Ewigen Friedens könnte heute auch eine große Allee in Atlanta sein. Für einen Schriftsteller ist es, als müsse man in einem Chor singen und hörte die eigene Stimme nicht mehr.

Jürgen Habermas: Natürlich reden wir von einem sehr ambivalenten Prozess. Das ist die Dialektik der Modernisierung: Es gibt Gewinne und Verluste, die sich nicht auseinander nehmen lassen, sondern zusammengehören. Es ist natürlich nicht nur ein Vorzug, wenn sich Großfamilien und nationale Zusammengehörigkeiten auflösen. Man wird einsamer, und die soziale Kälte wächst. Andererseits kann die Gesellschaft im Prinzip gerechter werden, wenn nämlich alle Familien in einer Stadt, alle Städte in einem Land und alle Nationen auf der Erde unter dem gleichen Aspekt von Gerechtigkeit ihre Beziehungen untereinander organisieren.

Xu: Das wäre erst möglich, wenn alle ihren eigenen Charakter verlieren.

Jürgen Habermas: Ich bin auch in Deutschland mit einer ähnlichen Kulturkritik aufgewachsen. Aber dürfen wir die Lebenschancen und den gebildeten Charakter von wenigen privilegierten Personen der Vergangenheit - also zum Beispiel der Mandarine oder der kaiserlichen Gefolgschaft - mit dem heutigen Durchschnittsbürger auf den Straßen Pekings vergleichen? Aus kulturkritischer Sicht scheint es so, als würden wir in der Massengesellschaft unseren Charakter verlieren. Der normale Bürger aber hat, das nehme ich an, auch in Peking an Möglichkeiten zur Entfaltung des eigenen Charakters eher hinzugewonnen.

Xu: Es ist für mich keine Frage, ob ich im Vergleich zu früheren Kaisern heute ein mehr oder weniger individuelles Leben führe. Mir missfallen die Ergebnisse der Modernisierung. Deutschland, wo ich längere Zeit gelebt habe, ist für mich zivilisatorisch kaum weiter entwickelt als China. Churchill hat einmal gesagt: "Ich weiß, dass das kapitalistische System blutig und grausam ist, aber es ist das beste System in der menschlichen Geschichte, das ich kenne." Wie können wir nicht pessimistisch sein?

Jürgen Habermas: Haben wir eine Alternative? Wenn wir den Prozess einer gewaltsamen und zugleich befreienden Modernisierung vielleicht verlangsamen, aber nicht umdrehen können, müssen wir uns sehr anstrengen, damit wenigstens die Balance des Guten und des Schlechten, das es immer gibt, erhalten bleibt.

Jiang: Im entwickelten Westen mag es einer so kunstvollen philosophischen Begründung der Moderne bedürfen - in China nicht. Denn es gibt nur eines, was die Chinesen heute eint: Ihr Wunsch, das Land zu verändern. Meine Generation erinnert sich noch an die eigene Kindheit, damals tobte die Kulturrevolution. Aber sie ist es nicht wert, erinnert zu werden. Alle Chinesen erinnern sich noch an die alte chinesische Gesellschaft, an Hofkultur und Untertanenmentalität. Auch das ist nicht der Erinnerung wert. Wir leben deshalb in einer Gesellschaft ohne Nostalgie, die ohne Rückschau auf Entwicklung setzt. Xu Xings Pessimismus klingt für mich vor diesem Hintergrund genauso aufgezwungen wie der offizielle Optimismus.

Qian:: Genau das ist das Problem der chinesischen Modernisierung. Man definiert sie wirtschaftlich oder wissenschaftlich, aber nicht geistig oder philosophisch. So läuft sie aus Sicht der Intellektuellen zwangsläufig ins Leere.

Zhou: Hier stellt sich für mich - wie einst für die deutschen Philosophen von Nietzsche über Heidegger bis Jaspers - die Frage nach den negativen geistigen Folgen der Modernisierung. In China steht uns diese Debatte noch bevor.

Jürgen Habermas: Sie kennen diese Debatte offenbar genauso gut wie ich. Lassen Sie uns das stark vereinfachend am Beispiel der Demokratie diskutieren. Die Idee der Demokratie entstand auf dem Höhepunkt der Aufklärung, bei Rousseau und Kant. Die Europäer waren von dieser Idee fasziniert. Im Laufe einer brutalen Kolonialgeschichte haben sie andere Völker missioniert und ihnen ihre Denkweise aufzwingen wollen. Inzwischen sagen uns die Opfer dieser Kolonialisierung, was wir Europäer im Namen unserer wunderbaren Ideale alles angerichtet haben. Aber nun lautet die Frage: Sind eigentlich die Ideen falsch, also Freiheit, Demokratie und Menschenrechte? Oder haben wir diese Ideen bisher nur in einer sehr einseitigen europäischen Lesart verstanden? Wenn Letzteres der Fall ist, dann kritisiert sich die Vernunft selber. Dann sehen wir Europäer ein, dass wir über die genannten Ideen mit anderen Kulturen einen Dialog führen müssen, der die Voraussetzung dafür ist, dass wir zu einem gemeinsamen Verständnis dieser Ideen gelangen. Also: Die Wunden, die die Vernunft schlägt, können, wenn überhaupt, nur durch die Vernunft überwunden werden.

Cui: Sind Sie ein Optimist oder ein Pessimist?

Jürgen Habermas: Theoretisch ein Pessimist, in der Praxis - als guter Kantianer -muss ich mich wie ein Optimist verhalten. Heute beneide ich die Intellektuellen in China ein wenig. Denn sie befinden sich in einer Situation, in der sie überhaupt nur produktiv sein können oder aufhören, Intellektuelle zu sein. Bei uns im Westen werden Intellektuelle viel weniger gebraucht.

Shang: Auch in China verändert sich die Rolle der Intellektuellen. Viele dienen der Partei, viele stellen sich in den Dienst privater Unternehmen. Nur wenige bleiben unabhängig. Zudem sind die chinesischen Intellektuellen heute leicht beeinflussbar. Solange Clinton in Washington regierte, waren sie dem Westen eher zugeneigt. Doch schon die ersten Reibereien mit der Bush-Administration, von der US-chinesischen Flugzeugkollision bis zu den amerikanischen Waffenverkäufen an Taiwan, haben viele Intellektuelle auf die Seite der Partei gebracht.

Jürgen Habermas: Ja, die Frage ist, ob wir in einer monozentristischen Welt unter der Führungsmacht Amerika leben werden oder in einer pluralistischen Welt, in der sich drei oder vier kontinentale Regime miteinander einigen müssen. Der gegenwärtige Zustand ist durch den Aufstieg Asiens - erst Japan, jetzt China - und die Einigung Europas charakterisiert. Aus meiner europäischen Sicht wird es die optimistische Variante, also eine pluralistische und zugleich friedliche Weltkonstellation, nur geben, wenn sich Europa politisch wirklich einigt und eine eigene Stimme auch gegenüber den USA gewinnt. Zugleich müsste die Uno gestärkt, vor allem aber das transnationale Netzwerk zwischen den großen Mächten verdichtet werden. Denn die neue pluralistische Weltordnung kann und darf sich nicht mehr nach dem Modell des alten europäischen Systems souveräner Nationalstaaten richten.

Shang: Wenn es keinen weiteren Weltkrieg gibt, wird die Welt am Ende pluralistisch werden. Zwar hat die neue US-Regierung unter Bush Junior noch keine klare politische Linie gefunden und bewahrt bislang eine Denkweise wie im Kalten Krieg. Aber die Handelsbeziehungen zwischen China und den USA werden ihr Gewicht nicht verlieren, und ich glaube deshalb nicht an Krieg.

Jürgen Habermas: Was Bush angeht, ist meine einzige Hoffnung, dass das amerikanische Volk intelligenter ist als sein Präsident.

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Das Gespräch moderierte Georg Blume, Die Zeit



Jiang Wen, 37, ist Chinas populärster Filmschauspieler (Das rote Kornfeld). Mit der Fernsehserie Ein Pekinger in New York wurde er zum Volksidol. Der Film Teufel vor der Tür, bei dem Jiang Regie führte, gewann vergangenes Jahr in Cannes die Silberne Palme.
Cui Jian, 39, ist Chinas erfolgreichster Rockmusiker und für viele Chinesen die wichtigste Symbolfigur der Studentenrevolte von 1989. Seine Lieder wie Wir haben nichts prägten das Generationsbewusstsein der heute 30- bis 40-Jährigen.
Qian Ning, 40, war Kritiker im Feuilleton der Arbeiterzeitung, bevor er für sechs Jahre nach Amerika ging, als Unternehmensberater zurückkam und sich als Bestsellerautor einen Namen machte. Er ist Sohn von Vizepremier Qian Qichen, Chinas einflussreichstem Außenpolitiker.
Xu Xing, 45, Schriftsteller, schuf mit Variationen ohne Titel das konstituierende Werk für die neue, von allen Traditionen losgelöste chinesische Stadtliteratur der neunziger Jahre. Xu ist ein enger Freund des in Paris lebenden Nobelpreisträgers Gao Xinjiang.
Zhou Guoping, 45, Philosoph und Schriftsteller, zählt zu den wichtigen geisteswissenschaftlichen Autoren seines Landes. Seine Bücher befassen sich mit täglicher Überlebenskunst im modernen China und alter westlicher Philosophie - nicht selten ein Widerspruch.
Shang Dewen, 69, Professor für Marxismus und Geschichte der Peking-Universität, ist Autor eines demokratischen Verfassungsentwurfs für die Volksrepublik. Das prominente Parteimitglied setzte sich 1997 mit einem offenen Brief an Parteichef Jiang Zemin für politische Reformen ein.
Nguồn: © 2001 DIE ZEIT, Nr. 20/2001